Stadtwerke spielen auf Zeit
09.12.2011 / Lokales
Autor: Christina Wandt
Für gut 100 von etwa 150 000 Haushalten, die die Stadtwerke mit Erdgas versorgen, könnte am 22. Dezember ein Weihnachtswunder wahr werden: Nach einem langwierigen Rechtsstreit können sie dann finanzielle Ansprüche gegenüber den Stadtwerken geltend machen. Denn an diesem Tag wird das Landgericht Essen ein Urteil im Sinne der Kläger verkünden und aller Voraussicht nach keine Revision zulassen. „Meine Mandanten haben dann einen Titel in der Hand“, sagt Rechtsanwalt Volker Heidelbach. Einige Hundert bis mehrere Tausend Euro sollen die Betroffenen von den Stadtwerken erhalten.
Sie haben sich erstritten, was theoretisch zahllosen Gaskunden der Stadtwerke zustünde: einen Ausgleich für eine Preisanpassungsklausel der Stadtwerke, die nicht rechtens ist. Diese Klausel ermöglichte es den Stadtwerken, die Preise für den Endverbraucher zu erhöhen, wenn die Marktpreise steigen – oder sie zu senken, wenn diese fallen. Bloß: „So wie die Klausel formuliert ist, hat der Verbraucher keine Garantie, dass es auch einmal zu Preissenkungen kommt“, sagt Volker Heidelbach.
Der Verdacht, dass es sich bei der Klausel also um einen Freibrief für nicht unbedingt nachvollziehbare Preiserhöhungen handelte, kam vor gut fünf Jahren in verschiedenen Städten auf. 2006 zogen 181 Betroffene vor das Landgericht Essen und sind erfolgreich: Das Gericht erklärt die Klausel im April 2007 für unwirksam. Ein Jahr später erstreiten wiederum die Stadtwerke einen Erfolg vor dem Oberlandesgericht Hamm. Im Januar 2010 kommt es schließlich zur Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs. Der urteilt im Sinne der Kläger, dass die Klausel „intransparent“ sei und „bei kundenfeindlichster Auslegung eine Preisgestaltung nach freiem Belieben“ ermögliche.
Spätestens nach der höchstrichterlichen Belehrung hätte man ein Einlenken der Stadtwerke erwarten können. „Die waren jedoch nicht bereit, ihre Kunden zu entschädigen oder auch nur vernünftig zu informieren“, sagt Heidelbach. Anders als etwa die Stadtwerke Münster, die ihre Kunden über das Urteil ins Bild setzen, im Laufe des Jahres 2010 ein Vergeleichs-Angebot ausarbeiteten und das Antragsformular auf ihre Homepage stellen. Etwa 500 Euro kann der Kunde für ein Jahr geltend machen.
Einen Vergleich suchte auch Anwalt Heidelbach, der seit Mitte 2010 für 200 Essener Mandanten ermittelt hatte, welche Entschädigung ihnen im einzelnen zustehe. „Wir sind mit unseren Zahlen auf die Stadtwerke zugegangen und haben eine geraume Zeit und sehr konkret über einen Vergleich verhandelt“, sagt Heidelbach. Doch Ende 2010 hätten die Stadtwerke mitgeteilt, dass sie die Vergleichsverhandlungen einstellen.
Die Stadtwerke, der Eindruck verdichtet sich bei Heidelbach, spielen auf Zeit: Die Ansprüche der Kunden können nämlich nur für drei Jahre rückwirkend geltend gemacht werden. Also schickte er zum Jahresende 2010 für jeden seiner Mandanten Klage oder Mahnbescheid los, um die Verjährung zu unterbrechen. Nun geht es um die konkreten Ansprüche der 200 Kunden, das neue Gerangel vor den Gerichten zieht sich durchs ganze Jahr 2011 und wird – wie eingangs berichtet – wohl am 22. Dezember mit einem Erfolg für gut 100 Betroffene enden. Weitere Verfahren stehen aus. Heidelbach ist zuversichtlich, dass auch sie im Sinne der Kläger entschieden werden. Es gehe um bis zu 28 000 Euro.
Selbstverständlich, so der Anwalt, könnten auch andere Stadtwerke-Kunden noch immer ihre Ansprüche geltend machen; zumindest rückwirkend bis zum Jahr 2008. Dass die Stadtwerke von sich aus auf sie zukommen, sollten sie nicht erwarten. Die ziehen sich bis heute auf die Position zurück, dass der Bundesgerichtshof lediglich die Preisanpassungsklausel für unwirksam erklärt habe: „Ob wir überhöhte Preise von unseren Kunden eingefordert haben, war nicht Bestandteil der Verhandlung und des Urteils.“